Betreff: Regelbedarfsstufe 2 für Bewohner*innen von Gemeinschaftsunterkünften nach § 3a Abs.1 Nr. 2 lit. B AsylbLG und § 3a Abs. 2 Nr. 2 lit. B AsylbLG –
Sehr geehrte migrationspolitische Sprecher*innen, sehr geehrte Landesintegrationsbeauftragte,
Seit am 1. September 2019 die Änderungen im AsylbLG in Kraft getreten sind, erhalten alleinstehende Erwachsene in Gemeinschaftsunterkünften nur noch Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2, wie dies für Ehepaare oder Lebenspartner*innen vorgesehen ist.
Bereits mehrere Sozialgerichte1 sowie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen2 hatten in ihren Entscheidungen Zweifel daran erkennen lassen, dass die Einstufung von alleinstehenden Erwachsenen, die in einer Gemeinschaftsunterkunft leben, in die Regelbedarfsstufe 2 verfassungskonform ist.
Inzwischen gibt es auch vom Sozialgericht Halle einen Eilrechtsbeschluss vom 01. März 2021, der zu dem Schluss kommt, dass der Klägerin vorläufig Leistungen nach Bedarfsstufe 1 zu gewähren sind. In der Begründung heißt es: „Die Anwendung der Bedarfsstufe 2 allein wegen gemeinschaftlicher Unterbringung wird in Rechtsprechung und Literatur zu Recht kritisiert.“ Auch dieses Gericht kommt zu dem Schluss, dass diese Regelung nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist.
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen und der Tatsache, dass die Corona-Pandemie noch weit weniger als ohnehin ein gemeinsames Wirtschaften ermöglicht, das Einspareffekte erzeugen könnte, hat nach unseren Informationen zum Beispiel der Werra-Meißner-Kreis konsequenter- und vernünftigerweise beschlossen, allen alleinstehenden Erwachsenen in Gemeinschaftsunterkünften, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2021 Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 zu zahlen.
Auch für Sachsen-Anhalt sollte das Innenministerium daher klarstellen, dass grundsätzlich Leistungen auf Basis der Regelbedarfsstufe 1 zu bewilligen sind, weil ein gemeinsames Wirtschaften alleinstehender Erwachsener in Gemeinschaftsunterkünften nicht möglich ist. Vor dem Hintergrund der weiterhin anhaltenden COVID-19-Pandemie bedarf es mindestens einer Einzelfallprüfung bezüglich der tatsächlichen Möglichkeit des gemeinsamen Wirtschaftens.
Wir verweisen an dieser Stelle auf den Erlass des niedersächsischen Innenministeriums und das Rundschreiben des Integrationsministeriums Rheinland-Pfalz. .3 Im Rundschreiben wird durch das Ministerium „dringend empfohlen, geeignete Einzelfälle (…), die aktuell der Leistungsstufe 2 nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 b) und Abs. 2 Nr. 2 b) AsylbLG unterfallen, dahingehend zu überprüfen, ob unter Würdigung der Ausführungen des Bundes vorübergehend die Leistungsstufe 1 zu gewähren ist.“
Die Ausführungen des Bundes können dem Rundschreiben des Integrationsministeriums entnommen werden. Es wird auf eine Anfrage der GRÜNEN im Bundestag4 und die Antwort der Bundesregierung verwiesen, die wiederum – „unter Berücksichtigung möglicher Auswirkungen der Corona-Pandemie – auf eine einschränkende Auslegung der Norm“ verweist.
Wir haben uns mit diesem Anliegen Anfang Februar schriftlich an das zuständige Referat im Innenministerium von Sachsen-Anhalt gewandt – leider ohne Erfolg. Hier sieht man keinen rechtlichen Handlungsspielraum oder Bedarf für einen Erlass. Die genannten Beispiele aus anderen Bundesländern sowie die Gerichtsentscheidungen zeigen aber deutlich, dass dieser sehr wohl gegeben ist.
Es darf – wie so oft – nicht den Betroffenen überlassen bleiben, ob sie die Informationen und Unterstützung finden, um ihre Rechte einzufordern.
Wir sehen hier dringenden Handlungsbedarf und möchten Sie bitten sich dafür einzusetzen, dass die Menschen die Leistungen bekommen, die ihnen verfassungskonform zustehen.
Für Fragen oder Anregungen stehen wir gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Stefanie Mürbe
(Projektleitung „Fachstelle Flucht und Asyl“)
1https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2019/11/SG-Landshut-Asylsuchende-in-GU-keine-Bedarfsgemeinschaft-24-10-2019.pdf; https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2019/12/SG-Hannover-Beschluss-Alleinstehende-20-12-2019.pdf; https://anwaltskanzlei-adam.de/2021/01/05/sozialgericht-marburg-urteil-vom-31-12-2020-az-s-9-ay-1-20/