Das Asylbewerberleistungsgesetz ist eng gekoppelt an die Vorschriften des Asyl- und Aufenthaltsgesetzes und damit äußerst komplex. Noch dazu sind die Kürzungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren drastisch ausgeweitet worden.
Daraus resultieren eine Vielzahl rechtswidriger Leistungsentscheidungen, aufgrund derer den Betroffenen gesetzlich zustehende Leistungen vorenthalten bleiben.
Hinzu kommt, dass Leistungskürzungen nach dem AsylbLG auch angesichts des Urteils des BverfG vom 18.7.2012 verfassungswidrig sein dürften. Inzwischen gibt es zahlreiche Beschlüsse von Sozialgerichten, die die Leistungskürzungen zumindest für verfassungsrechtlich fragwürdig halten bzw. in Einzelfällen für rechtswidrig.
Die nachfolgende Zusammenstellung soll wichtige Hinweise bieten und dazu ermutigen, Leistungsbescheide offensiv zu überprüfen und effektiv gegen rechtswidrige Praxen in den Sozialämtern vorzugehen.
Handreichung zum Asylbewerberleistungsgesetz – Praxishilfe des Flüchtlingsrates Brandenburg für die Beratung von Geflüchteten
Autorin: Anja Lederer, Juni 2020
Diese Handreichung des Flüchtlingsrates Brandenburg soll bei der Bewältigung der Vielzahl an gesetzlichen Regelungen im Asylbewerberleistungsrecht Hilfestellung bieten. Sie gibt zunächst einen Überblick über die Systematik des Asylbewerberleistungsgesetzes und beschäftigt sich dann mit den verschiedenen Leistungsansprüchen. In einem weiteren Teil beschäftigt sie sich mit dem Anspruchsausschluss und Anspruchseinschränkungen. Im letzten Teil geht es um die Rechtsdurchsetzung (Widerspruch, Überprüfungsantrag, (Untätigkeits-)Klage und Einstweiliger Rechtschutz), wobei auch Tipps zum taktischen Vorgehen gegeben werden und Mustertexte vorgestellt werden. Die Handreichung enthält durchgehend Übersichten, Exkurse und Praxishinweise zu den verschiedenen Themen sowie Verweise auf relevante Rechtsprechung.
Mehrsprachiges Informationsblatt zu Leistungskürzungen im AsylbLG vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt
Juni 2020
Auf vier Seiten werden Fragen zu diesem Thema knapp beantwortet: Was können Gründe für Leistungskürzungen sein? Was kann ich tun?
Das Infoblatt liegt in den Sprachen Arabisch, Dari/Fari, Deutsch, Englisch, Französisch, Hindi vor.
Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2
nach Informationen der Diakonie Hessen, Stand: November 2021
Seit über zwei Jahren sind hessenweit alleinstehende und alleinerziehende Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, von erheblichen Leistungskürzungen betroffen. Sie erhalten seither nur noch Leistungen der Regelbedarfsstufe (RBS) 2, anstelle der bisher vollen Leistungen der RBS-1. Dass bedeutet konkret eine Rückstufung von 446.- € auf nur noch 401.- € monatlich. Auch Personen, die bereits Analogleistungen nach § 2 AsylbLG erhalten, sind von diesen Kürzungen betroffen.
Gegen diese Rückstufungen sind Betroffene vereinzelt gerichtlich vorgegangen. Dabei haben alle hessischen Sozialgerichte bislang im Sinne der Kläger entschieden und auf Wiedereinsetzung der RBS-1 entschieden. Auch hat inzwischen das Landessozialgerichte in Hessen in zwei Fällen die Kürzungen für verfassungs- und europarechtswidrig erklärt.
Nichtsdestotrotz stellt sich das hessische Sozialministerium (HMSI) auf dem Standpunkt, dass die Anwendung der RBS-2 für den betroffenen Personenkreis weiter geltendes Recht sei. Es könne daher auch keine regelhafte Gewährung der RBS-1 in Gemeinschaftsunterkünften empfehlen. Alle Versuche auf politischer Ebene eine Lösung zu finden, waren bislang erfolglos. Auch die Pandemie hat hier zu keiner Neubewertung seitens des HMSI geführt.
Um diese Ungerechtigkeit nicht bloß hinzunehmen, möchten wir Sie alle ermutigen, die betroffenen Flüchtlinge dabei zu unterstützen, gegen diese europarechtswidrigen Abstufungen vorzugehen. Wir gehen davon aus, dass sich nur durch viele SG- und LSG-Entscheidungen auch auf politischer Ebene etwas ändert.
Um für Beratungsstellen und Unterstützer*innen den Aufwand so gering wie möglich zu halten, haben wir die an diese Mail angehängten Arbeitshilfen (inhaltlich identisch. 1 x 4 Seiten, auch zum Ausdrucken; 1 x 5 Seiten) erstellt, mit zusätzlichen Hintergrundinfos und Kontakten zu Anwälten und Anwältinnen, die sich gerne dieser Fälle annehmen. Alles, was sie benötigen, sind die Leistungsbescheide von Betroffenen und deren Kontaktdaten, sowie Unterstützung bei der Beantragung von Beratungshilfe und ggf. Prozesskostenhilfe. Vielfach reicht schon ein genauerer Blick auf die Leistungsbescheide und ein kurzes Beratungsgespräch mit den Betroffenen. Der Arbeitsaufwand wird sich damit hoffentlich in überschaubaren Grenzen halten.
21-09-29 FIAM Info2 Reglbedarfsstufe2 final_AL (002)
21-09-29 FIAM Info2 Reglbedarfsstufe2 print version 4 pages
nach Informationen vom Flüchtlingsrat Niedersachsen, Stand: Februar 2021
Seit am 1. September 2019 die Änderungen im AsylbLG in Kraft getreten sind, erhalten alleinstehende Erwachsene in Gemeinschaftsunterkünften nur noch Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2, wie dies für Ehepaare oder Lebenspartner_innen vorgesehen ist. Das sind 10% weniger also vor der Gesetzesänderung. Die Kürzungen hat der Gesetzgeber damit begründet, dass die alleinstehenden Erwachsenen in einer Gemeinschaftsunterkunft mit anderen alleinstehenden Erwachsenen gewissermaßen wie eine Familie zusammen wirtschaften könnten und damit ein Einspareffekt erzielt würde.
Bereits mehrere Sozialgerichte sowie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hatten in ihren Entscheidungen Zweifel daran erkennen lassen, dass die Einstufung von alleinstehenden Erwachsenen, die in einer Gemeinschaftsunterkunft leben, in die Regelbedarfsstufe 2 verfassungskonform ist. Am 05.01.2021 hat das Sozialgericht Marburg festgestellt, dass erstens die Leistungen nach AsylbLG in den Jahren 2018 und 2019 auch ohne Vorgabe durch die Bundesregierung fortzuschreiben, also zu erhöhen waren und zweitens für alleinstehende Erwachsene Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren sind.
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung und der Tatsache, dass die Corona-Pandemie noch weit weniger als ohnehin ein gemeinsames Wirtschaften, das Einspareffekte erzeugen könnte, ermöglicht, hat nach Informationen von Rechtsanwalt Adam der Werra-Meißner-Kreis nun konsequenter und vernünftiger Weise beschlossen, allen alleinstehenden Erwachsenen in Gemeinschaftsunterkünften, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2021 Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 zu zahlen.
Die Landkreise und kreisfreien Städte in Sachsen-Anhalt sollten diesem Beispiel folgen. Angesichts der mittlerweile zahlreichen Gerichtsentscheidungen, die die Eingruppierung alleinstehender Erwachsener in die Regelbedarfsstufe 2 für nicht verfassungskonform halten sowie der zusätzlichen Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, wäre es angebracht, die Praxis in den Sozialämter zu ändern und nun von Amts wegen grundsätzlich und nicht nur im Einzelfall Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Wir empfehlen daher alleinstehenden Erwachsenen, die Leistungen nach dem AsylbLG (sowohl nach § 2 als auch nach § 3 AsylbLG) lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 erhalten, Widerspruch einzulegen, die Überprüfung der bisherigen Leistungen (gem. § 44 SGB X) zu beantragen und ggf. Eilantrag und bei Ablehnung des Widerspruchs Klage einreichen sollten. Es sollte sich dabei auf die oben angeführte Rechtsprechung berufen werden, also:
SG Landshut
SG Hannover
LSG Niedersachsen-Bremen
SG Marburg
Gutachten: Lebensmittelgutscheine als Sanktionsinstrument im AsylbLG (hrsg. vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt)
Autor*innen: Dr. Simone Emmert und Dipl. Iur. RA Oliver Wolf, Dezember 2020
In einigen Landkreisen erhalten Geflüchtete nur Wertgutscheine (insbesondere für Lebensmittel) als Leistung, was für die Betroffenen eine besondere Form der Sanktionierung bedeutet, da es die Freiheit und Lebensqualität der Menschen erheblich einschränkt.
Das Gutachten „Lebensmittelgutscheine als Sanktionsinstrument im AsylbLG“ widmet sich der Frage der Rechtmäßigkeit der Gutscheinvergabe als Sanktion.
Es kommt zu dem Schluss, dass diese Praxis formell rechtswidrig und damit nicht verfassungsgemäß ist, da es weder eine bundes- noch eine landesgesetzliche Grundlage dafür gibt.
Das migrationspolitische Existenzminimum – Eine verfassungsrechtliche Prüfung der Leistungskürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), WP 27 (2021)
Autor*innen: Miriam Bräu und Philip Heimann
Working Paper der Humboldt Law Clinic, Januar 2021
Im November 2019 erklärte das BVerfG Leistungskürzungen im SGB II (Hartz IV) für größtenteils verfassungswidrig, da sie einen nicht verhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum darstellten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob auch die Leistungskürzungen in § 1a AsylbLG gegen das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m Art. 20 Abs. 1 GG verstoßen. In diesem Working Paper, das in Kooperation mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) entstand, unterziehen die Autor*innen daher die Leistungskürzungen des § 1a Abs. 3-5, 7 AsylbLG einer umfassenden verfassungsrechtlichen Prüfung. Zentral sind dabei die Maßstäbe, die das BVerfG in den oben genannten Urteilen zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gesetzt hat.
Im Ergebnis hält keiner der geprüften Tatbestände des § 1a AsylbLG diesen strengen Vorgaben stand. Die geprüften Leistungskürzungen im AsylbLG sind im Ergebnis verfassungswidrig und eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ist wünschenswert.
Zum Working Paper
Goethe-Uni Law Clinic: Diskussion zu Sanktionen im SGB II und AsylbLG
Am 01.02.2021 diskutierten ausgewählte Referent*innen über das komplexe Thema der Sanktionen im SGB II und AsylbLG. Anlass für die Veranstaltung war die breit geführte Debatte über die Verfassungsmäßigkeit des § 1a AsylbLG, die nach dem Urteil des BVerfG 2019 zu den Hartz-IV-Sanktionen im SGB II neuen Aufwind erfahren hat.
Eine Aufnahme der Veranstaltung finden Sie hier.