Duldung light: Rechtsauffassung des Innenministeriums und Beratungshinweise

Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt legt in einem Schreiben an das Landesverwaltungsamt vom 26.01.2022 seine Rechtsauffassung zur Duldung nach § 60b Abs. 1 AufenthG („Duldung light“) dar und folgt darin den Anwendungshinweisen des BMI. Es geht dabei um die sehr umstrittene Frage, wie sich andere in § 60b AufenthG nicht genannte Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, auf die Anwendung der Norm auswirken.

Nach Auffassung des Innenministeriums soll die „Duldung light“ auch dann erteilt werden, wenn die Abschiebung auch aus anderen Gründen nicht vollzogen werden kann.

In der Rechtsprechung als auch in anderen Bundesländern überwiegt die Auffassung, dass§ 60b Abs. 1 S. 1 AufenthG nicht greift, wenn andere Abschiebungshindernisse bestehen.

  • VAB Berlin, EB-RPF, ERL-Nds. I und II, AH NRW, AH THÜ
  • vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 06.12.2021 – 3 B 777/21 –, juris, Rn. 20; Nds. OVG, Beschl. v. 23.06.2021 – 13 PA 96/21 –, juris, Rn. 6 f. und v. 09.06.2021 – 13 ME 587/20 –, juris Rn. 49; VG Bremen, Urt. v. 03.09.2021 – 2 K 1400/21 –, juris, Rn. 16; VG Aachen, Beschl. v. 29.09.2021 – 8 L 305/21 –, juris, Rn. 46; VG Cottbus, Beschl. v. 28.05.2020 – 9 L 134/20 –, juris, Rn. 9

Da die Formulierung in § 60b Abs. 1 S. 1 AufenthG offensichtlich an die Formulierung des Erwerbstätigkeitsverbots für geduldete Personen nach § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 und
S. 3 AufenthG angelehnt ist, ist die Übertragung der hierzu ergangenen Rechtsprechung auf die Erteilung der „Duldung light“ naheliegend. Zum Erwerbstätigkeitsverbot
ist nach herrschender Meinung anerkannt, dass die selbst zu vertretenden Gründe allein ursächlich für die Unmöglichkeit der Abschiebung sein müssen.

Diese Rechtsauffassung des Innenministeriums könnte eine Erklärung sein, warum die „Duldung light“ in Sachsen-Anhalt so viel häufiger vergeben wird als im Bundesdurchschnitt. Nach einer Anfrage der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) waren im Bundesdurchschnitt nach Angaben des AZR 21.683 „Duldungen light“, das macht 8,9% aller Duldungen. In Sachsen-Anhalt waren es 2.220. Das sind 39,9% aller erteilten Duldungen! (Stand Mitte 2021).

Aufgrund der schwerwiegenden Rechtsfolgen der „Duldung light“ – insbesondere der Nichtanrechenbarkeit der Duldungszeiten bei den Bleiberechtsregelungen (§§ 25a und b AufenthG) sowie der Ausbildungs- (§ 60c AufenthG) und Beschäftigungsduldung (§ 60d AufenthG), sollte die Abschaffung der „Duldung light“, wie im Koalitionsvertrag (S. 138) vorgesehen, schnellstens umgesetzt werden. Bis dahin sollte in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Erteilung rechtmäßig ist.

Da die Anwendungshinweise für die Gerichte nicht bindend sind, sollten Betroffene weiterhin in jedem Einzelfall, in dem zusätzlich zu den selbst zu vertretenden Duldungsgründen weitere Duldungsgründe vorliegen, anwaltlich klären, ob gegen die Erteilung der „Duldung Light“ Rechtsmittel eingelegt werden sollen.

Siehe dazu Beratungshinweise des Paritätischen: Erläuterungen zur „Duldung light“ für die Beratungspraxis (Stand Mai 2020)



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