Redebeitrag des Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt zum #unteilbar-Auftakt am 10.04.2021 in Magdeburg
Hallo, ich bin Reem Alrahmoun und ich bin im Vorstand des Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt – eine Organisation, die sich für verbesserte Lebensbedingungen von Geflüchteten einsetzt.
Wir alle stehen heute hier, weil die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt dieses Jahr das Potential hat, ein bedeutsamer politischer Wendepunkt zu sein. Aber machen wir uns nichts vor: Der politische Dammbruch, der hier droht, kündigt sich schon lange an.
Das zeigt sich auch an der Tatsache, dass sich viele zivilgesellschaftliche Organisationen hier im Land – und dazu zählen auch wir als Flüchtlingsrat – schon in der Zeit der faschistischen Pogrome in den frühen 90ern gegründet haben. Das Ziel unserer Arbeit war und ist es, dem Rechtsruck gelebte Solidarität entgegenzusetzen.
Wir unterstützen Menschen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind. Und genau deshalb sind wir in zahlreichen Bündnissen und Gremien aktiv, denn Solidarität geht nur gemeinsam!
Auch viele von euch hier auf dem Platz setzen sich seit Jahren für ein gutes Leben, für eine Gesellschaft der Vielen ein. Ganz egal, ob in einer Nachbarschaftsinitiative, in einem Verein, in der Straßenbahn oder im Fussballclub.
Deshalb stehen wir hier heute mit einem lachenden und einem weinenden Auge – lachend, weil es schön ist zu sehen, wie viele wir geworden sind, und weinend, weil es unglaublich traurig und wütend macht, dass wir überhaupt hier stehen müssen!
Flucht und Migration waren in den letzten Jahren zentrale Themen in der gesellschaftlichen Debatte. Und da wurde ganz oft so getan, als ob die Tatsache, dass Menschen hier herkommen – ganz egal aus welchem Grund – die Leute hier völlig überrumpelt, , als ob das so nicht sein dürfte.
Wenn man sich aber auch nur eine Minute mit dem Thema befasst, wird sofort klar, dass Migration existiert, seitdem Menschen auf dieser Welt existieren. Menschen sind schon immer über den Globus gewandert – schon immer aus verschiedensten Gründen – und die letzten Jahrzehnte in Sachsen-Anhalt sind da keine Ausnahme gewesen.
Und allen, die nicht völlig die Augen verschließen, ist klar, dass Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus auch schon immer damit einhergehen!
Wenn wir uns den Zeitstrahl der Migration in den letzten Jahrzehnten ansehen, war dieser furchtbare Art des Umgangs mit Menschen „von woanders“ immer präsent!
Die DDR hatte zwar mit ihrer Gründung 1949 offiziell den Antifaschismus zum Kern ihrer Staatsideologie erklärt. Aber die Lebensrealitäten von Migrant*innen und People of Color waren trotzdem massiv geprägt von Ausgrenzung, alltäglichem Rassismus und pogromartigen Hetzjagden.
Die Initiative 12. August, die an der Aufarbeitung der rassistischen Morde an den kubanischen Vertragsarbeitern Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra arbeitet, erklärt dazu in ihren Statements: „Die Schere zwischen politischem Anspruch und gelebter Wirklichkeit hätte größer kaum sein können.“
Und über die vergangenen Jahre kann von diesem Anspruch sogar immer weniger die Rede sein – rassistische Hetze und Hass sind vom Parlament bis in den öffentlichen Raum konstant präsent.
Menschen aus migrantischen Communities sind massiv von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen, Hemmschwellen sinken und die Zahlen der Angriffe steigen.
Worauf sich unsere Arbeit beim Flüchtlingsrat aber eher konzentriert, ist die strukturelle Ausgrenzung und Diskriminierung von geflüchteten Personen. Auch das ist nichts Neues.
Aber wie in so vielen Lebensbereichen hat die Corona-Pandemie schlimm vor Augen geführt, wie sehr geflüchtete Menschen auf Grund ihrer fremdbestimmten Lebensbedingungen benachteiligt und noch vulnerabler gemacht werden.
- Menschen in Gemeinschaftsunterkünften wurden wochenlang in Kettenquarantänen gezwungen.
- Durch die Größen der Unterkünfte war Abstand halten grundsätzlich unmöglich.
- In den Landeserstaufnahmeeinrichtungen bestanden keine Möglichkeiten mehr, Lebensmittel selbst zu kaufen und zu verarbeiten.
- Viele Unterkünfte sind sozial (und räumlich) so isoliert, dass kein Kontakt zur Außenwelt mehr besteht.
- Unterstützung durch Ehrenamtliche und Organisationen fällt komplett aus.
- Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche fällt komplett aus.
- Sprachkurse, Integrationsangebote fällt komplett aus.
Es gibt unzählige weitere Beispiele, die verdeutlichen wie unaushaltbar die Lebenssituation für unzählige Menschen wurde.
Und das ja immer in Anbetracht der Tatsache, dass es auch schon ohne Pandemie richtig schlimme Lebensbedingungen sind. Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus leben eh in einer dauerhaften Ausnahmesituation, weil die Existenz an diesem Ort, an dem sie sich befinden, in Frage gestellt ist. Ohne jegliche zeitliche Prognose, wann sich dieser Zustand ändern wird und mit welchem Ergebnis.
Was also können wir tun? Wir müssen uns zusammenschließen! Uns nicht die Hoffnung nehmen lassen auf eine emanzipatorische Gesellschaftsordnung, in der alle Platz haben, die hier leben!
Genau deshalb haben sich nun vor den Landtagswahlen in vier ostdeutschen Ländern die unteilbar-Bündnisse in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gegründet. Wir werden unterstützt von der bundesweiten unteilbar-Struktur und zahlreichen anderen regionalen Bündnissen.
Wir stehen gemeinsam für eine demokratische und offene Gesellschaft der Vielen und der Vielfalt! Für ein gutes Leben für alle Menschen, ausnahmslos!
Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen! Wir setzen uns zur Wehr gegen die Scheinlösungen und Einflussnahme von Rechts!
Stattdessen solidarisieren wir uns mit den Menschen, die angegriffen werden, ausgeschlossen werden, diskriminiert werden. Wir schreiten ein und bieten Unterstützung an. Wir setzen uns dafür ein, dass Solidarität auch über Grenzen hinweg praktisch wird und nicht zu hohlen Phrase verkommt!
Wir stehen für Demokratie von unten und setzen uns dafür ein, dass Menschenrechte #unteilbar sind und für alle Menschen gelten.
Unsere Vielfalt ist unsere Stärke, unsere Solidarität ist unsere Kraft!