[Pressemitteilung] Rechtsstaatsgebot verbietet Abschiebungen in den Folterstaat Syrien

26.10.2020 | Pressemitteilung der Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL

Rechtsstaatsgebot verbietet Abschiebungen
in den Folterstaat Syrien

#SyriaNotSafe! Die Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL kritisieren leichtfertiges, Menschenleben gefährdendes Gerede einiger Innenminister aus Bund und Ländern

Nach dem tödlichen Anschlag in der Dresdner Innenstadt Anfang Oktober fordern einzelne Innenminister, vermeintliche “Gefährder*innen“ nach Syrien abzuschieben. Die Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL verurteilen diese politische Instrumentalisierung tragischer Vorfälle und erteilen der versuchten Demontage des Flüchtlingsschutzes eine klare Absage.

„Unser tiefstes Beileid gilt den Angehörigen des Opfers, der verletzten Person wünschen wir eine schnelle Genesung“, erklären die Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL. “Jetzt ist ein rechtsstaatlicher Prozess der Strafverfolgung notwendig. Alles andere wäre ein politischer Missbrauch der Opfer und Betroffenen.“ Sie betonen weiter: „Abschiebungen sorgen nicht für mehr Sicherheit, denn Hass schlägt oft willkürlich zu. Darüber hinaus stellen Abschiebungen nach Syrien eine besonders gravierende Gefährdung dar.”

Syrien ist – sowohl unter Bashar al-Assad wie in Herrschaftsgebieten extremistischer Aufständischer – ein Folterstaat. Das Flüchtlingshochkommissariat der UN (UNHCR) erklärt zur internationalen Schutzbedürftigkeit von Personen aus Syrien, dass ganze Gruppen von Familien, religiöse oder ethnische Gemeinschaften, ganze Dörfer, Städte und Nachbarschaften unter Generalverdacht gestellt und verfolgt werden. Dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) zufolge wurden ganze Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und entvölkert. Die Zahl der Binnenvertriebenen geht in die Millionen. Selbst humanitäre Akteure setzen ihre Arbeit wegen der unsicheren Lage vereinzelt aus. Amnesty International berichtet über die landesweit und systematisch gegen die Zivilbevölkerung und zivile Institutionen gerichtete Gewalt. Auch das Auswärtige Amt weist auf die Praxis des “Verschwindenlassens” hin und darauf, dass es keine verfolgungssicheren Gebiete in Syrien gibt.

„Vor diesem Hintergrund ist das leichtfertige Gerede über angeblich sichere Gebiete, in die Syrer*innen abgeschoben werden könnten, wie es Bundesinnenminister Horst Seehofer und seine Kollegen aus Sachsen und Bayern dieser Tage in den Medien lancieren, fahrlässig und gefährdet Menschenleben”, erklärt Georg Schütze, Sprecher im Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt.

“Dieser Vorstoß ist schockierend. Wir appellieren an den Innenminister Sachsen-Anhalts, Holger Stahlknecht, sich dieser verantwortungslosen Strategie seiner Kolleg*innen im Bund und in einzelnen Ländern nicht vereinnahmen zu lassen“, erklärt Georg Schütze. Der Flüchtlingsrat erwartet von der Regierungskoalition, sich bei der IMK gegen einen Paradigmenwechsel beim Abschiebungsschutz für Syrer*innen zu positionieren und klar zu stellen, dass von hier aus keine Abschiebungen von syrischen Menschen unter Inkaufnahme von Kriegsgewalt, Folter und weiteren Menschenrechtsverletzungen  stattfinden werden.

Hintergrund:

Das “Rechtsstaatsgebot” verbietet Abschiebungen in einen Folterstaat.

Eine Abschiebung in einen Folterstaat, mit akuter Gefahr für Leib und Leben ist menschenrechtswidrig. Das Refoulement-Verbot aus Art. 3 EMRK gilt absolut und lässt –anders als Art. 33 Abs. 2 GFK – keine Ausnahmen zu. Der EGMR hat ausdrücklich und wiederholt festgestellt, dass der Refoulement-Schutz der EMRK ausnahmslos gilt und über den Schutz der GFK hinausgeht. Die menschenrechtlichen Vorgaben gehen daher dem allgemeinen Flüchtlingsschutz auch dort vor, wo die GFK eigentlich eine Rückschiebung erlauben würde. Dieses Europarechtsstaatsgebot steht also Versuchen entgegen, mit dem Begriff des*der Gefährder*in Menschen abschiebungsreif zu behaupten.

Würde die Person sehenden Auges der im Herkunftsland verbreiteten Folter oder Todesgefahr ausgeliefert werden, wäre die Bundesrepublik verantwortlich. Auch Boris Pistorius, niedersächsischer Innenminister, hatte an die Einhaltung völkerrechtlicher Grundsätze appelliert. Bei den Landesflüchtlingsräten steht darüber hinaus die Sorge im Raum, dass die Aufhebung des Abschiebestopps bei „Gefährder*innen“ die Tür für weitere Aufweichungen öffne. Gleiches ist in der Praxis von Abschiebungen nach Afghanistan zu beobachten.

Das Ausmaß des Folterregimes Assads wird auch durch das aktuelle Strafverfahren am Oberlandesgericht (OLG) Koblenz deutlich, bei dem zwei Menschen syrischer Staatsbürgerschaft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt werden. Das OLG Koblenz wendet das Weltrechtsprinzip an, bei dem Staaten auch Straftaten außerhalb der eigenen Justiziabilität verfolgen und verurteilen können, wenn Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen vorliegen. Es wäre indes doppelzüngig, wenn Deutschland mutmaßliche Folterer strafrechtlich verfolgt und gleichzeitig via Abschiebung den Folterknechten in Syrien zuarbeitet und neue Opfer schafft.

Pressekontakt: Georg Schütze | Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
Mail: info@fluechtlingsrat-lsa.de | Telefon: 0159 06725150



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