[Presseerklärung von International Women Space] „Im Schatten von Corona: Polizeigewalt gegen Frauen und Kinder in Brandenburger Lagern“

International Women Space
Presseerklärung, 05.06.2020
„Im Schatten von Corona: Polizeigewalt gegen Frauen und Kinder in Brandenburger Lagern“

 

Am 1. Juni schickte uns eine Frau, die in einem Lager* in Brandenburg lebt, ein verstörendes Video, das einen unverhältnismäßig gewalttätigen Polizeieinsatz in dem Lager zeigt: Auf einem schmalen Korridor drücken Polizeibeamt_innen eine Frau auf den Boden, andere
Beamt_innen sichern den Hergang ab, wir hören Bewohner_innen (darunter auch einige Kinder) schreien.

Zusätzlich zu diesem Video schickte uns unsere Kontaktperson auch einen Audiobericht und wir tauschten uns mit ihr über den Vorfall aus.

Sie informierte uns darüber, dass ein Bewohner der Unterkunft wegen Ruhestörung die Polizei gerufen hatte. Die Frau, die in dem Video von den Polizeibeamten auf den Boden gedrückt wurde, hatte zuvor in ihrem Zimmer mit ihren Freunden eine kleine Party veranstaltet.

Selbst die Security des Lagers sei über den brutalen Polizeieinsatz überrascht gewesen, meinte die Zeugin, man hatte sie offensichtlich vorher nicht über den beabsichtigten Einsatz informiert. Die Polizei rückte mit sieben Polizeibeamten und zwei Hunden im Lager an, sie
klopften an die Zimmertür der Frau und forderten sie auf sich
auszuweisen. Als die Frau sich nach dem Grund dieser Aufforderung erkundigte, verweigerten ihr die Beamten die Information, woraufhin sie ihnen ihren Ausweis nicht zeigte. Zeug_innenberichten zufolge hatte die Polizeibeamten daraufhin die Frau sofort am Arm gepackt und zu Boden
gezerrt.

Dann hatten Mitbewohner_innen des Lagers angefangen den Vorfall zu filmen und zu streamen. Aber erst als eine Person gerufen habe: „Schaut, was sie mit uns machen. Sie werden uns töten, wie sie diesen anderen Mann in Amerika getötet haben.“ hätten die Polizeibeamten die Frau losgelassen und hastig das Gebäude verlassen – ohne weitere Erklärung
und ohne weitere Maßnahmen einzuleiten.

DAS VIDEO UND DIE FAKTEN, DIE ES AUFZEIGT, SIND ALARMIEREND. Folgende Fragen drängen sich auf:

Zuallererst: Das Video zeigt, wie eine unbewaffnete Frau von mehreren Polizeibeamt_innen auf den Boden gedrückt wird.

– Welche Gewaltmaßnahmen sind gegenüber einer unbewaffneten Person überhaupt zu rechtfertigen? Wieviel Gewalt ist verhältnismäßig?

Die Polizei war mit sieben Beamten und zwei Hunden in der Unterkunft angerückt – aufgrund einer Ruhestörung.
– Welches Aufgebot ist angesichts der Schwere dieses „Verbrechens“ angemessen? Auf welche Art und Weise wurden die in dem Einsatz vorhersehbaren Kommunikationsschwierigkeiten berücksichtigt?

Der Einsatz fand statt ohne dass das Sicherheitspersonal vorher informiert wurde.
– Was ist die Funktion der Security in den Lagern überhaupt? Wen beschützt sie?

Wie in allen anderen Lagern gelten auch in dieser Unterkunft die Corona-Sicherheitsbestimmungen – öffentlicher Zugang und soziale Dienstleistungen sind eingeschränkt, Distanzbestimmungen und das Tragen von Gesichtsmasken sind obligatorisch. In dem Video sehen wir klare Verletzungen dieser Bestimmungen.

-Warum tragen die Polizeibeamt_innen keine Schutzmasken und warum halten sie den Sicherheitsabstand nicht ein – weder untereinander noch gegenüber den Bewohner_innen der Unterkunft?

Zeug_innenberichten zufolge hat die Polizeieinheit die Unterkunft abrupt verlassen, als sie gemerkt hatten, dass sie gefilmt und gestreamt wurde. Keine weiteren Maßnahmen folgten, niemand wurde angezeigt, keine Erklärung abgegeben. Dies trug zusätzlich zur Verwirrung der
Bewohner_innen bei und stellte die Notwendigkeit und
Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Gewaltdemonstration grundlegend in Frage. Schlussendlich wurde bei diesem Einsatz nichts außer sinnlose Gewalt vermittelt und ausgeübt.
– An welcher Stelle können die Frauen, die von diesem Vorfall
betroffen sind, sich über das Verhalten der Polizei beschweren?

In den Lagern leben Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind um in Deutschland Frieden, Schutz und lebenswerte Bedingungen zu finden. Hier treffen sie auf die systematischen Diskriminierungen des deutschen Asylverfahrens und -systems und auf rassistische Polizeigewalt, die gegen sie gerichtet ist. Das verursacht in vielen Fällen eine schwerwiegende Retraumatisierung.
– An wen können sich die Lagerbewohner_innen wenden, wenn sie auf diese Art und Weise eine Retraumatisierung erfahren?

Anscheinend war in diesem Vorfall das Rufen der Polizei ein Resultat eines schon länger schwelenden Konfliktes. In Unterkünften werden Menschen auf engem Raum ohne Berücksichtigung ihrer Vorstellungen und Unterschiede zusammengepfercht. Dies ist ein Nährboden für Spannungen
und Konflikte. Wir und andere Organisationen haben die Behörden immer wieder über diesen Missstand informiert.
– Welche Maßnahmen werden getroffen um diesen Missständen zu begegnen und sie zu beseitigen?

Weil die Frauen befürchten, dass die Veröffentlichung dieses Vorfalls schwerwiegende Konsequenzen für ihr Leben in Deutschland nach sich zieht, können wir weder die Namen der Frauen nennen, noch die Unterkunft, in der sich der Polizeieinsatz abspielte.

BITTE VERBREITET DIESE STELLUNGNAHME IN EUREN MEDIEN UND RECHERCHIERT WEITER!
WIR WOLLEN ANTWORTEN AUF UNSERE FRAGEN!

#BLACKLIVESMATTER #REFUGEELIVESMATTER

Video und ein Transkript des Audioberichtes findet ihr hier:

iwspace.de/…/in-the-shadow-of-corona-police-violence-lager…/

www.youtube.com/watch?v=7CMRm6l9TPc&feature=emb_logo

* _UM DIE FRAUEN ZU SCHÜTZEN, NENNEN WIR HIER WEDER DIE NAMEN DER
INVOLVIERTEN FRAUEN, NOCH DIE UNTERKUNFT, IN DER SICH DIESER EINSATZ
ABSPIELTE. WENN IHR WEITERE INFORMATIONEN FÜR EURE RECHERCHE BENÖTIGT,
BITTE KONTAKTIERT UNS!_

+++++++++++++++++ ENGLISH +++++++++++++++++++

IN THE SHADOW OF CORONA: POLICE VIOLENCE AGAINST WOMEN AND CHILDREN IN
A LAGER IN BRANDENBURG

On June 1st a woman, who lives in a Lager* in Brandenburg sent us an
alarming video-clip, recorded on the day before. The video depicts a
police-operation in the Lager: In a small corridor several police
officers are pinning down a woman on the floor, other officers are
securing the site, many residents (including children) can be heard
screaming.

In addition to this video our contact sent us an audio report and we
have had other conversations with her about this incident. She informed
us that the police had been called by another resident making a “noise
complaint” due to a small party the woman in the video and her friends
were having in a private room. The security guards of the Lager seemed
to be surprised by the police operation – they were not informed in
advance.

The police entered the Lager with seven police officers and two dogs,
they knocked on the woman’s door and asked her to identify herself.
She inquired, why she had to give the identification. As this
information was not given to her she didn’t show her ID card.
According to witnesses she was immediately grabbed and pinned down on
the floor in the corridor.

People started to film and stream live. It was only when someone
screamed: „See! See what they are doing to us here, they want to kill us
like the other man that was killed in America.“ that the police officers
released the women and then left the site quickly. No further
measurements were taken.

Report and video can be found here:

THIS VIDEO AND THE FACTS REVEALED ARE DEEPLY ALARMING. It raises
several urgent questions:

The police officers pinned down an unarmed woman:

* What amount of force is justifiable towards unarmed women?

The police entered the Lager with seven police officers and two dogs on
account of a noise complaint:

* Which measurements are justifiable on account of such a “crime”?

* What measurements are taken to bridge potential language and
communication barriers with Lager residents?

The police entered the building without notifying the security guards:

* What is the role of security guards in the Lagers?

Like everywhere else, the Lager in question has health safety
measurements in place due to Corona – public access and social services
are limited, social distancing and wearing of face masks are obligatory.

In the video we see a clear violation of those measurements:

* Why are the police not wearing face masks and why are they not
obeying to the rule of social distancing?
* What are the authorities and Lager management doing to protect their
residents’ health and wellbeing in times of corona?

According to the witnesses of this incident the police left the site
suddenly, after realizing that they were being filmed and live streamed.
No further measurements were taken and they did not press any charges.
This added to the confusion of the residents as to why the police felt
this show of force was necessary and justified. In the end the message
they received was nothing but violence.

* Where should the women involved in this incident report their
grievances with the police?

Lager residents are people who have fled war and persecution in order
to find peace and protection in Germany. Here they encounter the
systematic discrimination of the asylum seeking process and also police
violence, this causes severe retraumatization:

– To whom should Lager residents turn when they experience this kind of
retraumatization?

It seems that, in this incident, calling the police was the result of a
conflict that was dormant for a very long time. In Lagers people are put
together in close quarters. This is a structural problem and is a
breeding ground for tensions and conflict. We and fellow groups have
been informing the state institutions for a long time about this
problem.

– What is being done to address these circumstances?

* What do the authorities and Lager management do to prevent potential
conflicts between Lager residents?

As the women are scared that publishing this incident might have severe
consequences for their lives in Germany, we can’t publish either the
names of the women involved or the name of the Lager where it took
place.

PLEASE SPREAD THIS STATEMENT IN YOUR MEDIA AND CONTINUE YOUR RESEARCH!

WE WANT ANSWERS TO OUR QUESTIONS!

#BLACKLIVESMATTER #REFUGEELIVESMATTER

Video and a transcript of the audio report can be found here:

iwspace.de/2020/06/in-the-shadow-of-corona-police-violence-lager-brandenburg/

https://youtu.be/7CMRm6l9TPc

_*(WE ARE NOT REVEALING THE NAME OF THE LAGER HERE IN ORDER TO PROTECT
THE WOMEN’S ANONYMITY AND ALSO BECAUSE THIS EVENT IS A CASE OF
STRUCTURAL VIOLENCE, WHICH COULD HAVE HAPPENED IN ANY LAGER; IF YOU WANT
TO INVESTIGATE FURTHER, PLEASE CONTACT US FOR THE NAME OF THE LAGER)_



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