14. und 26.03.2018 Friedersdorf und Köthen [Dokumentation Unterbringung]

Im Rahmen des AMIF-Projektes „Landesinfostelle Flucht und Asyl“ haben wir am 14.03.2018 die ehemalige Gemeinschaftsunterkunft in Friedersdorf sowie die Räumlichkeiten der Migrationsberatung St. Jakob in Köthen besucht. Dabei haben wir Gespräche mit Bewohner*innen und der Leitung der Unterkunft in Friederdorf, geflüchteten Menschen aus Köthen, Unterstützer*innen sowie Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle geführt. Am 26.03. konnten wir im Anschluss daran Gespräche mit Vertreterinnen der Euro-Schulen, die die gesonderte Beratung für Ausländer und Aussiedler im Landkreis zur Verfügung stellen, sowie mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landkreisverwaltung führen.

Wir möchten uns für die Unterstützung des Besuches durch die zuständigen Stellen und die konstruktiven Gespräche bedanken und Ihnen im Folgenden unsere Eindrücke zusammenfassend darstellen. Wir hoffen weiterhin, dass unsere Hinweise zur Verbesserung der Lebenssituation geflüchteter Menschen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld Aufnahme finden.

Friedersdorf

In den Räumlichkeiten der ehemaligen Gemeinschaftsunterkunft in Friedersdorf sprachen wir sowohl mit aktuellen Bewohner*innen der Unterkunft als auch mit ehemaligen Bewohnern, die derzeit im Stadtgebiet von Bitterfeld leben. Die Beratungsangebote der Euro-Schulen waren unseren Gesprächspartner*innen bekannt. Sie werden als verfügbar, jedoch nicht als hilfreich erlebt. Auch ein mobiles Beratungsangebot der EURO-Schulen, welches einmal in der Woche in Friedersdorf vor Ort ist, war in den Augen unserer Gesprächspartner*innen bisher keine Hilfe. So hieß es dazu zum Beispiel: »Die Leute sind nur 10 Minuten da, reden mit niemandem und gehen dann wieder«. Über andere Beratungsangebote wurde der Eindruck geäußert, dass sie »außer bei Strafen nicht helfen können«.

Viele der uns geschilderten (rechtlichen) Probleme schienen sich um Sanktionen zu drehen, die aus vermeintlich fehlender Mitwirkungspflicht resultierten. Konkret wurden uns Klagen über Arbeitsverbote und Leistungskürzungen mitgeteilt. Einzelne Personen beklagten sich außerdem, dass sie sich Krankenscheine immer auf dem Sozialamt abholen müssten, statt direkt zum Arzt gehen zu können.

Die Wohnungen in Friedersdorf betreffend, kam es wiederholt zu Problemen mit der Zustellung von Post. So wurden mehrfach Briefe nicht auf die Postkästen verteilt und bei anderen Stellen (Tankstelle, Büro der Migrationsberatung in Bitterfeld) abgegeben. Das führte in der Vergangenheit zu Verzögerungen in der Zustellung und der Kenntnisnahme der teils zeitkritischen und wichtigen Inhalte durch die Empfänger*innen. Zudem teilen sich mehrere Personen einen Briefkasten, während pro Kasten jedoch nur ein einzelner Schlüssel vorhanden ist. Das hat im Einzelnen dazu geführt, dass Schlösser der Kästen beschädigt wurden. Im Gespräch mit Vertreter_innen der Verwaltung konnte eine einfache Lösung gefunden werden: Es spricht nichts dagegen, mehrere, persönlich verfügbare Schlüsselkopien anzufertigen.

Über die Wohnungen in Bitterfeld wurde uns gesagt, dass es immer wieder zu Heizungsausfällen kommt. Auch der Zustand der Wohnungen wurde beklagt: »Wir werden in alten, kaputten Häusern untergebracht, es ist nicht für Menschen geeignet«.

Zu dem kommen gesellschaftliche Problemlagen. Die Anwesenden berichteten von rassistischer Ausgrenzung im öffentlichen Leben, Bedrohungen und Gewalt. So kam es anscheinend am Abend der Bundestagswahl 2017 zu einem Angriff, im Zuge dessen einer der Anwesenden beinahe von einem Auto angefahren wurde. Andere wurde der Zutritt zu einem Fitnessstudio einer anderen Person der Zutritt zu einer Bar verweigert – jeweils mit der Begründung, dass Schwarze Menschen dort nicht erwünscht sind. Die Anwesenden berichteten von einem generell hohen Angstlevel unter den Bewohner*innen – genannt wurde insbesondere die Angst vor körperlichen Übergriffen, so dass es weitestgehend vermieden wird, bei Dunkelheit allein auf die Straße zu gehen. Unklar sind außerdem die Umstände eines Fall, in welchem ein Knochenbruch eines der Anwesenden im Bitterfelder Krankenhaus nicht behandelt wurde.

Zu begrüßen ist, dass nach vielen Bemühungen von Unterstützenden vor Ort in Friedersdorf ein niedrigschwelliger Sprachkurs (ESF-Förderung und Landesförderung) Niveau A1 und A2 des BBI angeboten werden kann. Der Prozess war nach Schilderung der Interessierten sehr schwierig und langwierig. Das Interesse an einem guten Sprachkurs wurde als sehr hoch bewertet. Leider scheinen die Hürden für die Kurse relativ hoch zu liegen, z.B. durch eine sehr lange Vorlaufzeit oder die nur schwer zuzusichernde Teilnehmendenzahl von mindestens 20. Aus diesem Grund entstand der Eindruck, der Landkreis hätte nur geringes Interesse, die Kurse tatsächlich stattfinden zu lassen. Es erscheint uns daher hilfreich, den Zugang zu existentiellen Angeboten, wie eben auch Bildung, im Unterbringungskonzept mit zu berücksichtigen und auf die Zielgruppe hin anzupassen. Besonders relevant wird dies bei Standorten, die infrastrukturell nicht gut angebunden sind.

Köthen

In Köthen sprachen wir mit Klient*innen der Migrationsberatung. Ein immer wiederkehrendes Problem scheint das Verhalten der Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde zu betreffen. In mehreren Fällen wurde uns berichtet, dass anerkannte Schutzberechtigte von Behördenmitarbeiter*innen aufgefordert wurden, die Botschaft ihres Heimatlandes trotz Flüchtlingsanerkennung aufzusuchen. Derartige Aufforderungen – auch wenn sie als Beratungshinweis gemeint sind – können die Klient*innen schwerwiegend gefährden, da durch eine solche Handlung ein Tatbestand für ein Erlöschen der Schutzberechtigung nach § 72 AsylG (insb. dessen Abs. 1 Nr. 1) erfüllt wäre. Deutlich wurde im Gespräch mit den Betroffenen, dass dies nicht ihrem Interesse als politisch oder anderweitig verfolgte Personen entspricht. Berichtet wurde uns auch von zwei Fällen, bei denen eine Behördenmitarbeiterin Informationen über Klient*innen an die jeweilige Botschaft ohne Autorisierung durch die Betroffenen weitergegeben hatte. Wir müssen daher die dringende Forderung stellen, eine solche Praxis und Beratungshinweise zu unterlassen. Im Gespräch zeigte sich die Leiterin des Amts für Ausländerangelegenheiten im Landkreis gleichsam überrascht von dieser Schilderung und stimmte uns darin zu, dass Aufforderungen zu Botschaftskontakten gegenüber schutzberechtigten Personen unzulässig sind.

Weiterhin wurde uns mitgeteilt, dass sich die Wohnungen zum Teil in keinem guten Zustand befinden und keine Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht. Häufig sind die Wohnungssuchenden mit Anfeindungen und Ablehnung konfrontiert, sobald ihr Fluchthintergrund angenommen wird oder zur Sprache kommt. Einige der Betroffenen leben in kleinen Dörfern mit einer schlechten Anbindung nach Bitterfeld, Wolfen oder Köthen, wo sie allerdings zur Schule oder Arbeit müssen. Die Perspektiven der Menschen werden durch die Isolation extrem eingeschränkt und als ausgrenzend empfunden. Zu begrüßen ist an dieser Stelle, dass eine Übernahme der Wohnungen, die während des Zeitraums der Gestattung zugewiesen wurden, z.T. von den Bewohner*innen übernommen werden konnten. Für die Wohnungssuchenden wäre eine Unterstützung durch den Landkreis sehr hilfreich, z.B. durch Gespräche mit den Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften sowie Unterstützungs- bzw. Beratungsangebote. So könnte den Schwierigkeiten und Folgeproblemen vorgebeugt werden.

Darüber hinaus wurde uns mitgeteilt, dass die Integrationslots*in von einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde darauf hingewiesen wurden, dass sie im Sinne der Auasländerbehörde agieren müssten. Eine solche Interessenvertretung widerspricht einem parteiischen Vertretungsgrundsatz. Die Integrationslots*innen sollten vor allem im Interesse der Klient*innen handeln und stellen keinen verlängerten Arm der Ausländerbehörde dar. Darüber hinaus ist auch die Ausländerbehörde verpflichtet, die Klient*innen gesetzlich neutral zu ihren Fragen, Anliegen und Möglichkeiten zu beraten.

Schließlich haben uns unbegleitete Minderjährige erzählt, dass ihr Vormund gegen ihren ausdrücklichen Wunsch keine Klage gegen die Entscheidung des BAMF eingelegt hatte. Auch ein anwaltliches Beratungsgespräch wurde verweigert. Es ist unbedingt notwendig, dass die Amtvormünder entsprechend geschult und für die Bedarfe der Mündel sensibilisiert werden. Bei der Vertretung hat das Kindeswohl und Interesse der Mündel an erster Stelle zu stehen. Ein Verstreichen der Klagefristen kann verheerende Folgen haben, insbesondere für unbegleitete Minderjährige, wenn dadurch z.B. der Nachzug der Elternteile verunmöglicht wird. Im Gespräch mit den Mitarbeiter*innen der gesonderten Beratung, die für Personen aus dem gesamten Landkreis offen steht, wurden weitere Problemlagen benannt.

Viele Probleme und Hinweise konnten wir im direkten Gespräch mit den Mitarbeiter*innen der Landkreisverwaltung bereits anbringen. Deswegen möchten wir an dieser Stelle nur auf ein Themenfeld hinweisen, das besonders problematisch scheint: die Beschäftigungsverbote für Menschen mit Duldung, Der Entzug oder die Verweigerung der Beschäftigungserlaubnis ist eines der Hauptthemen in Beratungsanfragen. Die Bemühungen der geduldeten Menschen um Integration und eigenständige Existenzsicherung werden durch solche Sanktionen zu Nichte gemacht. Grundlage dazu bieten in der Regel zwar die ausländerrechtlichen Versagungsgründe nach § 60a Abs. 6 AufenthG, wenn den Menschen ein schuldhaftes Mitwirkungsversäumnis vorgeworfen wird. Oft werden die Mitwirkungspflichten durch die Ausländerbehörden jedoch viel zu weit und zum Nachteil der Betroffenen ausgelegt. Die Ausländerbehörde muss klar benennen können, welche Mitwirkungspflichten die Person zu erfüllen hat. Kann die Person nachweisen, dass sie diese Pflichten nicht erfüllen kann, muss die Beschäftigungserlaubnis erteilt werden. Die Person hat ein Anrecht auf einen schriftlichen Bescheid mit Begründung über die Ablehnung bzw. Nichtverlängerung der Beschäftigungserlaubnis und kann dagegen Widerspruch und dann ggf. Klage beim Verwaltungsgericht einreichen. Ansonsten ist grundsätzlich nach Prüfung der Arbeitsbedingungen durch die Bundesagentur für Arbeit die Beschäftigungserlaubnis durch die Ausländerbehörde zu erteilen. Alles andere ist ein Verstoß gegen geltendes Recht und geltende Verwaltungsvorschriften. Weitere Hinweise gibt das juristische Gutachten von Dr. Carsten Hörich: https://www.fluechtlingsrat-lsa.de/wp-content/uploads/2017/11/fluera_lsa_gutachten_2017_Mitwirkungspflichten_im_Auslaenderrecht.pdf



diesen Beitrag teilen
Nach oben scrollen