PM zur Innenministerkonferenz in Quedlinburg

Presseerklärung, 06.06.2018

Der eigentliche Skandal ist die aktuelle Desintegrationspolitik

Forderungen des Flüchtlingsrates Sachsen-Anhalt zur Innenministerkonferenz in Quedlinburg

Die Konferenz der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern (IMK) tagt ab Mittwoch in Quedlinburg. Themen der Beratungen werden u.a. die sogenannten AnKER-Zentren, die Vorkommnisse in der Bremer Außenstelle des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Drängen auf beschleunigte Abschiebungen sein. Der Flüchtlingsrat bezieht dazu folgende Positionen:

  1. Keine Kasernierung von Schutzsuchenden in zentralen Großlagern.
  2. Faire und sorgfältige Asylverfahren gewährleisten.
  3. Sofortiger Zugang zu Integration und wirksame Bleiberechtsregelung statt Abschiebehysterie.

zu 1. Geplante AnKER-Zentren verletzen elementare Menschenrechte

In den von Bundesinnenminister Horst Seehofer geplanten »AnkER-Zentren« droht Schutzsuchenden ein Zwangsaufenthalt von bis zu 18 Monaten mit verhindertem Zugang zu Schule, Arbeit, Gesellschaft und dringend benötigen Kontakten zu Rechtsbeistand und Unterstützer*innen. Die staatlich verordnete Isolation soll offenbar die Integration der Betroffenen in hohem Maße verhindern und will stattdessen die Aufenthaltsbeendigung um jeden Preis forcieren.

Dieser Umgang mit dem Anliegen von Schutzsuchenden ist ein massiver Eingriff in die Grund- und Menschenrechte und produziert vermeidbare gesellschaftliche Folgeprobleme.

Auch wenn Menschen aufgrund unbeständiger und fragwürdiger Anerkennungsquoten das Etikett der »geringen« oder »schlechten Bleibeperspektive erhalten, wird ein Großteil nicht ausreisen können. Nach der monatelangen Erfahrung der Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit kommen die Menschen dann in den Kommunen an. Durch diese Isolationspolitik werden die Fehler der Vergangenheit wiederholt.

»Wir fordern die Bundesländer auf, dem Lagerkonzept des Bundesinnenministers eine kategorische Absage zu erteilen.«, so Stefanie Mürbe für den Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt

Der Flüchtlingsrat spricht sich zudem gegen die Pläne von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht zur weiteren Kasernierung von Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen aus. Durch eine Änderung des Landesaufnahmegesetzes sollen Asylsuchende bis zu 24 Monate in den Lagern bleiben. »Auch hiermit werden elementare Menschenrechte verletzt. Isolation und Desintegration sind keine Lösung, sondern Teil des Problems.«, ergänzt Mürbe.

Zu 2. Die Qualitätsmängel beim BAMF gehen zu aller erst zu Lasten der Asylsuchenden

Seit Langem kritisieren Verbände und Organisationen, dass es im BAMF erhebliche Qualitätsmängel und kein ausreichendes Qualitätssicherungs- und Kontrollsystem gibt.

Der eigentliche Skandal ist die politisch motivierte, systematische Absenkung der Zahl positiver Entscheidungen durch eine Änderung der Anerkennungskriterien sowie der Direktive Schnelligkeit vor Qualität. Falsche Entscheidungen des BAMF gehen vor allem zu Lasten der Asylsuchenden: 2017 hatten 40,8 Prozent der Kläger*innen Erfolg (bereinigte Schutzquote): Fast die Hälfte der überprüften Asylbescheide wurde also durch die Verwaltungsgerichte korrigiert – bei syrischen und afghanischen Asylsuchenden waren es sogar über 60 Prozent.

Angesichts dieses Skandals muss es darum gehen, wie faire und rechtsstaatliche Asylverfahren gewährleistet werden. »Für vollkommen indiskutabel halten wir das vom Bundesinnenministerium angestrebte 48-Stunden-Schnellverfahren. Bereits jetzt ist angesichts der kurzen Frist zwischen Ankommen und Anhörung keine ordentliche Vorbereitung und Beratung der Asylsuchenden möglich. Um Asylsuchende auf die Anhörung vorzubereiten, braucht es zunächst Zeit. Eine qualifizierte Beratung verlängert die Verfahren zwar um wenige Tage, trägt aber zu einer erheblichen Steigerung der Effizienz und Qualität der Anhörungen bei. Das ist die Mindestbedingung für faire und rechtsstaatliche Asylverfahren.« so Mürbe.

Zu 3. Zur Konjunktur der Abschiebehysterie und ihren humanitären und sozialen Folgen

Für eine »konsequentere Abschiebepraxis« fordert Innenminister Stahlknecht den Druck auf »unkooperative Herkunftsländer« zu erhöhen. Unter massivem Druck stehen bereits jetzt alle Schutzsuchenden, die als ausreisepflichtig gelten.

Durch Arbeitsverbote, Leistungskürzungen, Sachleistungen und den Ausschluss von jeglichen Integrationsangeboten sollen sie zur Ausreise gedrängt werden. Diese Desintegrationspolitik ist auch ein Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die sich vor Ort für das gelingende Ankommen einsetzen. Ihre Bemühungen um Teilhabe laufen angesichts des ordnungspolitischen Primats zunehmend ins Leere.

»Gleichzeitig müssen wir beobachten, dass die Hemmschwelle, auch in Krisen- und Kriegsgebiete abzuschieben, sinkt, und die Abschiebungspraxis immer restriktiver wird. Immer öfter wird keine Rücksicht mehr auf den Schutz von Ehe und Familie, den gesundheitlichen Zustand oder andere persönliche Härtefälle genommen.«

»Wir fordern ein Ende dieser Abschiebehysterie. Stattdessen brauchen wir einen sofortigen Zugang zu Integration für alle Schutzsuchenden und eine wirksame humanitäre Bleiberechtsregelungen für Geflüchtete, die schon Jahre in Deutschland leben.« fordert der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt.

Pressekontakt: Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt | Stefanie Mürbe | Tel. 0391 50549613

Zum Programm der Protestkonferenz von Jugendliche ohne Grenzen, Halle gegen Rechts und Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt

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